c't 26/2022
S. 40
Aktuell
Quantencomputing

Wettlauf der Quantenprozessoren

IBM liegt mit 433-Qubit-Chip derzeit vor deutschen Projekten

IBM stellt mit Osprey einen Rekord-Chip mit 433 Qubits in Form supraleitender Schleifen vor. Parallel entwickeln deutsche Projektgruppen eigene Ansätze für Quantencomputer mit supraleitender Technik oder auf Basis von Ionenfallen-Qubits.

Von Arne Grävemeyer
Der neue Osprey-Chip beherbergt 433 Qubits, über seine Fehlerrate, einer der größten Hemmschuhe der Quantencomputertechnik, sagt IBM derzeit aber nichts., Bild: IBM
Der neue Osprey-Chip beherbergt 433 Qubits, über seine Fehlerrate, einer der größten Hemmschuhe der Quantencomputertechnik, sagt IBM derzeit aber nichts.
Bild: IBM

Big Blue macht Tempo: Am 9. November hat das Unternehmen auf dem IBM Quantum Summit 2022 in New York seinen neuen Osprey-Quantenprozessor mit 433 Qubits vorgestellt. Er überflügelt den bisherigen IBM-Rekordchip Eagle mit 127 Qubits aus dem Jahr 2021 deutlich.

Qubits sind die kleinsten Rechenbausteine für Quantencomputer. Jedes einzelne Qubit ist ein Quantensystem, das bei Berechnungen einen Überlagerungszustand zweier Basiszustände einnimmt. Damit trägt es eine viel größere Information als ein herkömmliches Bit. Würden alle 433 Qubits eines Osprey-Chips in einer Berechnung miteinander verschränkt, könnten sie gemeinsam mehr Zustände einnehmen, als es Atome im bekannten Universum gibt, und zwar gleichzeitig.

Laut Roadmap will IBM bereits im kommenden Jahr einen Chip „Condor“ mit über 1000 Qubits vorstellen sowie außerdem einen weiteren Chip mit nur 133 Qubits, der sich zu größeren Prozessoren zusammenschalten lässt.

Zudem verspricht das Unternehmen, bis Ende des kommenden Jahres das Quantum System Two herauszubringen. Dieser Großrechner ist so konzipiert, dass er mit künftigen Quantenprozessoren bis 2025 auf über 4000 Qubits erweitert und modular in Rechenzentren eingebunden werden kann.

Priorität Qubitzahl

„IBM legt derzeit offenbar die Priorität auf eine hohe Zahl an Qubits“, sagt Frank Wilhelm-Mauch, Quantencomputing-Pionier am Forschungszentrum Jülich. Wilhelm-Mauch koordiniert das EU-Projekt OpenSuperQ, in dem die beteiligten Partner einen europäischen Quantencomputer mit supraleitenden Qubits aufbauen. In einem weiteren Verbundprojekt unter seiner Leitung, QSolid, haben sich 25 deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, Quantenprozessoren mit supraleitenden Schaltkreisen der nächsten Generation und vor allem mit reduzierter Fehlerrate zu entwickeln und 2024 in Betrieb zu nehmen.

Der kryogenische Aufbau kühlt das Herzstück eines supraleitenden Quantencomputers am Forschungszentrum Jülich. Im Projekt QSolid sollen Computer mit mehreren Quantenprozessoren und reduzierter Fehlerrate entstehen., Bild: Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau
Der kryogenische Aufbau kühlt das Herzstück eines supraleitenden Quantencomputers am Forschungszentrum Jülich. Im Projekt QSolid sollen Computer mit mehreren Quantenprozessoren und reduzierter Fehlerrate entstehen.
Bild: Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau

„Nach allem, was IBM bisher veröffentlicht hat, ist die Fehlerrate der größte Hemmschuh für die derzeitige Quantencomputertechnik“, erklärt Wilhelm-Mauch gegenüber c’t. Um mit Qubits zu rechnen, muss man sie miteinander verschränken, sogenannte Qubit-Gatter bilden. Zuletzt hatten IBM-Forscher im Januar 2021 für Zwei-Qubit-Gatteroperationen auf einem 20-Qubit-Chip Fehlerraten zwischen 0,15 und 0,6 Prozent (>10−3) dargestellt. Naturgemäß summiert sich diese Fehlerrate mit der Tiefe eines Algorithmus, also mit den notwendigen Rechenschritten und der Anzahl der dazu notwendigen Gatteroperationen.

Gleichwohl respektiert Wilhelm-Mauch die technische Leistung, den Osprey-Chip derart hochzuskalieren. Um das zu erreichen, mussten die Entwickler neben den supraleitenden Schleifen dreidimensional auf dem Chip auch die Ansteuerung, die Kühlung und die Auslesetechnik integrieren. „Wir hoffen, IBM in Zukunft schlagen zu können, aber deren Entwicklung ist nun einmal früher gestartet als unsere.“ Im QSolid-Projekt wolle man nicht einfach hinterherlaufen. Stattdessen zeigt sich, dass sowohl IBM als auch das deutsche Projekt in Zukunft auf neue Materialien für die supraleitenden Schleifen der einzelnen Qubits setzen werden. Derzeit erforschte Legierungen mit Tantal und Niob erfordern weniger Kühlung und erlauben kleinere Strukturen als bisherige Aluminium-Schaltkreise. Zugleich trauen sich die QSolid-Projektpartner zu, geringere Fehlerraten für Qubit-Gatter zu verwirklichen als IBM.

Ionenfallen-Technik holt auf

Schon lange weisen Qubit-Chips mit Ionenfallen geringere Fehlerraten auf als supraleitende Technik. Christian Ospelkaus lehrt am Institut für Quantenoptik an der Leibniz-Universität Hannover und forscht an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Er koordiniert das Verbundprojekt ATIQ, in dem 25 Unternehmen und Forschungseinrichtungen gemeinsam bis 2026 Ionenfallen-Quantencomputer aufbauen.

„Der heilige Gral der Fehlerkorrektur liegt bei einer Fehlerrate von 0,01 Prozent (10−4)“, sagt Ospelkaus im c’t-Gespräch. Bei der Fehlerkorrektur kombiniert man mehrere physikalische zu einem logischen Qubit, das dann eine niedrigere Fehlerrate erzielt als die physikalischen Qubits. So kann jede gewünschte logische Fehlerrate erzielt werden. Der Aufwand dafür sinkt allerdings erst ab einer physikalischen Fehlerrate von 10−4 auf ein vertretbares Niveau.

Ospelkaus hat mit seinem Team ein universelles Rechenwerk für Ionenfallen-Qubits aufgebaut. Für Einzelqubit-Gatteroperationen in dieser Technik haben die Forscher bereits Fehlerraten zwischen 10−3 und 10−4 gemessen. Zwei-Qubit-Gatter liegen derzeit bei etwa 10−3. In den kommenden vier Jahren hoffen die Forscher, den „heiligen Gral“ von 10−4 auch mit Zwei-Qubit-Gattern im universellen Ionenfallen-Quantencomputer zu erreichen.

Einen Vorteil zeigen Ionenfallenqubits in der Kohärenzzeit. Qubits und Qubit-Gatter sind in supraleitender Technik bisher nur über mehrere Mikrosekunden bis zu Rekordwerten um eine Millisekunde stabil. Diese Zeit begrenzt zusätzlich zur Fehlerrate die Möglichkeit, viele Gatteroperationen hintereinander durchzuführen, selbst wenn diese jeweils nur mehrere Nanosekunden beanspruchen. Ionen-Qubits haben bereits Kohärenzzeiten von 50 Sekunden und mehr gezeigt; im Labor sind aber auch mehrere Minuten realisierbar. „Kohärenzzeit ist nicht unser Problem“, sagt Ospelkaus daher.

Ein weiterer Vorteil ist die Konnektivität. Das fertige Rechenwerk verschiebt und kombiniert Ionenfallen-Qubits beliebig. Qubits in supraleitender Chiptechnik können dagegen zunächst einmal nur mit direkten Nachbarn interagieren. Es bleibt also in den kommenden Jahren spannend, welche technische Plattform universelle Quantencomputer hervorbringen wird, die die ersten anwendungsnahen Probleme löst, die in klassischer Computertechnik als unlösbar galten. (agr@ct.de)

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